Als sozialistische Rhetorik wurde der politische Sprachgebrauch bezeichnet, der bis etwa 1988 die offizielle Rhetorik in den realsozialistischen Staaten Osteuropas (Ostblock) beherrschte. Sie nahm ihren Ausgang bei Karl Marx und seiner Dialektik, wurde durch Lenin in der Sowjetunion zum prägenden Merkmal der politischen Ausbildung und beeinflusste über die DDR auch einige bis heute existierende Wortwendungen im Deutschen.

Im Zuge der 1986 entwickelten Glasnost-Politik des KPdSU-Parteichefs Michail Gorbatschow, welche in der Sowjetunion zu größerer Transparenz der Staatsführung gegenüber der Bevölkerung führte, verlor die sozialistische Rhetorik in Russland und den anderen Staaten des Ostblocks an Bedeutung. In der DDR wurde sie bis zur politischen Wende 1989 beibehalten.

Innen- und Außensicht

Aus innerer Sicht dient die sozialistische Rhetorik dem Aufbau des Realsozialismus bzw. Kommunismus. Sie deutet die politischen Verhältnisse im Sinne des Marxismus, unterstützt die Argumentation seiner Vertreter und stärkt ihre Überzeugungskraft.

Zur Schulung in sozialistischer Rhetorik gaben Parteihochschulen spezielle Bücher heraus, in Ostdeutschland vor allem Eduard Kurka: Wirksam reden – besser überzeugen. Einführung in die sozialistische Rhetorik, Dietz Verlag, 1970.

Eine große Rolle im politischen Diskurs spielt dabei auch die Legitimation durch Berufung auf die Geschichte, wo positive und negative Beispiele für das politische Handeln erkennbar werden.

Aus der Sicht von außen fallen vor allem sprachliche Besonderheiten ins Auge:

  • regelmäßige Erwähnung gesellschaftspolitischer Ausdrücke wie „werktätige Bevölkerung“, „Arbeiterklasse“ bzw. „Klassenfeinde“, „Kader“, „Kollektiv“ usw.
  • argumentative Bezugnahme auf Beschlüsse der KP-Parteitage oder Zentralkomitees
  • große Bedeutung planwirtschaftlicher Vorgaben, z. B. als Fünfjahresplan
  • blumige Beschreibung von Verdiensten (Held der Arbeit, Vaterländischer Verdienstorden, …), aber auch Personenkult (s. a. Entstalinisierung), „antisowjetische Agitation“
  • häufige Verwendung marxistischer Vokabeln wie Proletariat, Ausbeutung, Imperialismus, Bourgeoisie, Revolution und Konterrevolution, Antifaschismus, Leninismus, Interessen des Volkes, Kollektivierung, Neue Ökonomische Politik
  • Entwicklungsaspekte, z. B. „der sozialistischen Ordnung“, der Staatssicherheit, der Wissenschaft, des sozialistischen Realismus, der Produktivität, der Planwirtschaft und ihrer Überlegenheit, von Rekordernten, Freundschaftsverträgen usw.
  • Zielvorstellungen wie Internationalität, Entspannungspolitik, Pazifismus, friedliche Koexistenz der Systeme
  • in der Wirtschaftspolitik Betonung von Begriffen wie Produktion, Schwerindustrie, Betriebsausschüsse, Betriebsberichterstattung, Zentralisierung …
  • Ablehnung oder Verächtlichmachung religiöser Weltanschauungen, Entwicklung von „kollektivem Gedächtnis“, häufige Forderung nach Selbstkritik

Beispiele

Von Marx und Lenin bis Stalin

  • „Aller Mehrwert, in welcher besondern Gestalt von Profit, Zins, Rente usw. er sich später kristallisiere, ist seiner Substanz nach Materiatur unbezahlter Arbeitszeit.“ Karl Marx 1867 Das Kapital, I/16
  • „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“ Karl Marx Kritik des Gothaer Programms, MEW 19/28
  • „Die weitere Entwicklung, d. h. die Entwicklung zum Kommunismus, geht über die Diktatur des Proletariats und kann auch gar nicht anders gehen, denn außer dem Proletariat ist niemand imstande, den Widerstand der kapitalistischen Ausbeuter zu brechen.“ Lenin, Staat und Revolution
  • „Selbstkritik, rücksichtslose, grausame, bis auf den Grund der Dinge gehende Selbstkritik ist Lebensluft und Lebenslicht der proletarischen Bewegung.“ Rosa Luxemburg 1916
  • „Die Diktatur des Proletariats kann nur unter regem und aktivem Anteil der Frauen der Arbeiterklasse verwirklicht und behauptet werden.“ Clara Zetkin (SPD/KPD) um 1920
  • „Es kann keine Revolution ohne radikale Veränderungen im Erziehungswesen geben.“ H. G. Wells, Unterredung mit Stalin, Juli 1934
  • „Es gibt einen dogmatischen Marxismus und einen schöpferischen Marxismus. Ich stehe auf dem Boden des letzteren.“ Aus Josef Wissarionowitsch Stalin – Kurze Lebensbeschreibung. Moskau 1947

Sowjetunion

Chruschtschow 1956 auf dem XX. Parteitag der KPdSU (Geheimrede zur Entstalinisierung):

Große Sowjetische Enzyklopädie (1969–1978) zum Thema Zensur:

Deutschland

Walter Ulbricht 1954:

Siehe auch

  • Sozialistische Marktwirtschaft
  • Historischer Materialismus
  • Theorie der permanenten Revolution
  • Sprachgebrauch in der DDR

Literatur

  • Eduard Kurka: Wirksam reden, besser überzeugen: Einführung in die sozialistische Rhetorik. Hrsg. von der Parteihochschule Karl Marx beim ZK der SED. Dietz Verlag, Berlin 1970, DNB 457246111.
  • Detlef Grieswelle: Politische Rhetorik: Macht der Rede, öffentliche Legitimation, Stiftung von Konsens. Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden, 2000, ISBN 978-3-8244-4389-5 (Leseproben).
  • Ulla Fix, Andreas Gardt, Joachim Knape (Hrsg.): Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung. 2. Halbband. Mouton de Gruyter, Berlin/New York 2009, ISBN 978-3-11-017857-9 (Leseproben).

Einzelnachweise


Sozialismus Politik Enthüllungen Bücher Kopp Verlag

Die Rhetorik des Nationalsozialismus GRIN Grin

Erich Honecker Zitat Der Sozialismus ist die einzige sagdas

Der Sozialismus ist an strukturellen Fehlern gescheitert Mangel