Der Pragfriedhof in Stuttgart-Nord ist von der Fläche her mit 21 Hektar der drittgrößte Friedhof Stuttgarts, von der Belegung her mit 29.000 Grabstellen der größte Stuttgarter Friedhof. Er besteht aus einem allgemeinen Teil für alle Religionen und einem israelitischen Teil.

Allgemeiner Teil

Die Begräbnisstätte unterhalb des Pragsattels lag zur Planungszeit und zum Zeitpunkt der Eröffnung 1873 außerhalb der Stadt. Die inzwischen etwa 20 Hektar große und an einem Hang liegende Anlage wird durch eine Haupt- und eine Querallee gegliedert, die den Blick auf die Feierhalle, das einzige Krematorium Stuttgarts, zulassen. Dieses Jugendstilbauwerk wurde nach den Plänen des Architekten Wilhelm Scholter in den Jahren 1905 bis 1907 errichtet. Weitere Gebäude auf dem Gelände des Friedhofs sind das Verwaltungsgebäude in der Friedhofstraße 44, die Kapelle in der Friedhofstraße 46 und das ehemalige Leichenhaus in der Friedhofstraße 48, das später zu einem Dienst- und Wohngebäude umfunktioniert wurde und heute von einer Musterausstellung zur Grabgestaltung umgeben ist. Diese Gebäude stammen aus den Jahren 1873 bis 1876 und wurden von August Beyer geschaffen. Sie greifen historisierend auf gotische Formenbestände zurück. Der Friedhof gilt als Sachgesamtheit als Kulturdenkmal.

1874 wurde der Friedhof auf der Ostseite um einen Teil für Angehörige des jüdischen Glaubens erweitert, nachdem der jüdische Teil des Hoppenlaufriedhofs nicht weiter genutzt werden konnte. Er erhielt zwischen 1881 und 1883 eine Einfriedung und ein Tor im neugotischen Stil nach den Plänen des Architekten Adolf Wolff. 1925 wurde dort eine Gedenkstätte für die jüdischen Stuttgarter Gefallenen des Ersten Weltkriegs errichtet. 1944 wurde die Friedhofshalle durch Kriegseinflüsse zerstört. Der jüdische Teil des Pragfriedhofs wurde nach der Zeit des Nationalsozialismus wieder instand gesetzt und 1947 durch ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus ergänzt. Beisetzungen finden heute auf diesem Teil des Friedhofes kaum mehr statt; stattdessen wird der jüdische Teil des Zentralfriedhofs im Steinhaldenfeld genutzt, der bereits zwischen 1937 und 1938 angelegt wurde. Auf dem jüdischen Teil des Pragfriedhofs befinden sich über 2300 Grab- und Gedenksteine. Dieser Teil des Pragfriedhofs ist durch einen Zaun vom Rest der Anlage abgetrennt und nicht für die Allgemeinheit zugänglich.

1953 wurde die erste anonyme Urnengemeinschaft angelegt.

Mit dem vorläufig letzten Umbau des Krematoriums (1980–1984) entstand die untere Feierhalle, die man als begehbare Betonskulptur in kompromisslos brutalistischem Stil bezeichnen kann (Architekt Harry G. H. Lie mit seinem langjährigen Büropartner Max Bächer).

2003 wurde eine Begräbnisstätte für fehlgeborene Kinder eingeweiht. Eine weitere Besonderheit für Stuttgart ist die Möglichkeit der Urnenbeisetzung im Kolumbarium.

Auf dem Gelände des Pragfriedhofs befindet sich auch die russisch-orthodoxe Heiliger-Alexander-Nevskij-Kirche.

Israelitischer Teil

Der israelitische Teil des Pragfriedhofs liegt an der östlichen Seite des allgemeinen Teils, also vom Haupteingang an der Friedhofstraße aus gesehen rechts. Das bei einem Bombenangriff 1944 beschädigte neugotische Eingangstor liegt auch an der Friedhofstraße und wurde in den 1960er Jahren wieder restauriert, jedoch wurde die Dachbekrönung der beiden Pfeilerfialen mit Krabben und Kreuzblume nicht wiederhergestellt.

Das Areal des israelitischen Teils erstreckt sich in einem langen schmalen Streifen von der Friedhofstraße bis zur Eckartstraße bei der Martinskirche. Der Friedhof ist in 22 Abteilungen eingeteilt, die bis zu Abteilung 18 paarweise rechts und links des Mittelwegs liegen und dann rechteckige oder trapezförmige Felder über die ganze Breite des Friedhofs bilden.

Die Nummerierung beginnt an der Friedhofstraße mit Abteilung 1 und endet mit Abteilung 22 bei der Martinskirche. Die Grenzsteine der Abteilungen tragen die entsprechenden römischen Zahlen I–XXII. Die amtliche Nummerierung der Gräber besteht aus der Abteilungsnummer, der Reihennummer und der Grabnummer. Die Reihen liegen parallel zum Zaun und werden aufwärts von West nach Ost gezählt, also vom Zaun des allgemeinen Friedhofs bis zum Zaun des Israelitischen Friedhofs hin. Das Grab mit der Nummer II-V-882 befindet sich zum Beispiel in Abteilung II, Reihe V und hat die fortlaufende Grabnummer 882. Der Urnenhain befindet sich am östlichen Rand der Abteilungen 19-22, vom Haupteingang aus gesehen am rechten Rand. Die Reihen werden hier anders als die anderen Gräber vom Außenzaun an gezählt.

Der Friedhof und seine Gräber sind in einer Monographie des Pfarrers Joachim Hahn beschrieben (#Hahn 1992). Sie enthält einen Abriss der Geschichte des Friedhofs, eine alphabetische Belegungsliste, einen Belegungsplan und Fotos ausgewählter Grabsteine. Reichhaltige Informationen bietet auch Alemannia Judaica, die Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum.

Besuchsmodalitäten: Zum Besuch des Friedhofs muss man den Torschlüssel bei der Verwaltung abholen. Diese befindet sich in dem Gebäude rechts vom Haupteingang an der Friedhofstraße 44 und ist Montag bis Freitag von 7:30–15:30 Uhr geöffnet. Das Haupttor des Israelitischen Friedhofs befindet sich am rechten Ende der Friedhofsmauer in der Friedhofstraße.

Gräber

Allgemeiner Teil



Bedeutung der eingekreisten Ziffern:
1 Emil von Rümelin (1846–1899), 1893–1899 Oberbürgermeister von Stuttgart
2 Eduard von Pfeiffer (1835–1921), Bankier und Sozialreformer
3 Wilhelm Blos (1849–1927), erster Staatspräsident des republikanischen Württemberg
4 Eduard Mörike (1804–1875), schwäbischer Dichter
5 Heinrich von Sick (1822–1881), Oberbürgermeister von Stuttgart und Innenminister von Württemberg
6 Josef Hirn (1898–1971), Erster Bürgermeister in Stuttgart
7 Ferdinand von Zeppelin (1838–1917), Erfinder des Zeppelins
8 Karl von Gerok (1815–1890), evangelischer Prälat und Lyriker

Israelitischer Teil



Stadtklima

Der Pragfriedhof gilt als eine der wichtigsten Grünflächen im Stadtbereich Stuttgart und wird in die Planungen des Projekts Stuttgart 21 einbezogen. Sein dichter Baumbestand verhindert ein deutliches nächtliches Auskühlen, wie es in Parkanlagen, die offener bepflanzt sind, auftritt.

Veranstaltungen

Der Pragfriedhof war ab dem Jahr 2000 immer wieder Schauplatz der Veranstaltung be-rührungen, die das teatro piccolo zusammen mit der Nordgemeinde veranstaltete. Es handelt sich dabei um einen nächtlichen Spaziergang über den Friedhof mit mehreren Stationen zum Thema Vergänglichkeit und Ewigkeit.

Anbindung an den Öffentlichen Nahverkehr

Ab 1885 bestand eine Omnibuslinie zwischen dem Pragfriedhof und der Schwabstraße. Schon ein Jahr später existierte hier eine Straßenbahnlinie der Neuen Stuttgarter Straßenbahngesellschaft Lipken und Cie. Heutzutage ist der Pragfriedhof über die Haltestellen Pragfriedhof mit den dort verkehrenden Stadtbahnlinien U5, U6, U7 und U15 sowie Milchhof mit der dort verkehrenden U12 zu erreichen.

Literatur

  • Albert Glück (Redaktion): Landeshauptstadt Stuttgart, Hochbauten 1970/85. München 1984, S. 75.
  • Joachim Hahn: Friedhöfe in Stuttgart, Band 3: Pragfriedhof, israelitischer Teil. Stuttgart 1992.
  • Israelitisches Kirchenvorsteheramt Stuttgart (Hrsg.): Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der Synagoge zu Stuttgart. Stuttgart 1911, Seite 96–97 (Geschichte des israelitischen Teils des Pragfriedhofs).
  • Werner Koch; Christopher Koch: Stuttgarter Friedhofsführer. Ein Wegweiser zu Gräbern bekannter Persönlichkeiten. Tübingen 2012, S. 42–71.
  • Karl Klöpping: Historische Friedhöfe Alt-Stuttgarts, Band 2: Der Central-Friedhof auf der Prag. Ein Beitrag zur Stadtgeschichte mit Wegweiser zu den Grabstätten bekannter Persönlichkeiten. Stuttgart 1996.
  • Jörg Kurz: Nordgeschichte(n). Vom Wohnen und Leben der Menschen im Stuttgarter Norden. 2. Auflage, Stuttgart 2005, S. 157–160.
  • R. Linck-Pelargus: 60 Jahre Stuttgarter Pragfriedhof. Eine Erinnerungsschrift mit Beschreibung von 700 Gräbern bedeutender Persönlichkeiten Stuttgarts. Stuttgart 1933. Abdruck: #Klöpping 1996, S. 127–169.
  • Ulrike Plate: Zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Zwei Gedenkorte in Stuttgart für gefallene jüdische Soldaten. In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg Band 43, 2014, S. 137–139 (Ehrenmal und Ehrenfriedhof für die gefallenen jüdischen Soldaten des Ersten Weltkriegs), online:.
  • Mammut-Verlag (Herausgeber und Redaktion): Stuttgart, Der Friedhofswegweiser. Stuttgart 2011, S. 28–30 (kostenlos erhältlich, u. a. bei der Infothek im Rathaus).

Weblinks

  • Chronologie und Bilder
  • Webseite Alemannia Judaica (israelitischer Teil des Friedhofs)
  • Protokoll der Mahnmalweihe auf dem jüdischen Pragfriedhof am 9. November 1947 (suchen nach „MAHN MAL WEIHE“)
  • Stuttgart im Bild, Pragfriedhof (Memento vom 23. Mai 2013 im Internet Archive)
  • Inken Gaukel: Pragfriedhof, publiziert am 19.04.2018 in: Stadtarchiv Stuttgart: Stadtlexikon Stuttgart.

Einzelnachweise


Prag der morbide Charme der Ewigkeit Prag, Friedhöfe, Alte friedhöfe

Pragfriedhof Zeichen der Erinnerung

Pragfriedhof Zeichen der Erinnerung

Pragfriedhof 69 Aufgenommen auf dem Pragfriedhof in Stuttg… Flickr

Pragfriedhof Zeichen der Erinnerung